
Cyprés CYP5621
1 CD/SACD surround • 59min • 2004
20.09.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Um es vorwegzunehmen: Diese CD ist nur etwas für hartgesottene Fans zeitgenössischer Avantgarde-Musik oder solche, die es werden wollen.
„Eine Oper wie ein Sturm“ solle es werden, so der 1945 in Athen geborene Komponist George Aperghis vor Beginn der Arbeit an seinem rund einstündigen Opus zu seinen Mitarbeitern. Und ja, wirklich, einen gewissen „stürmischen“ Zug kann man der Musik Aperghis’ durchaus nicht absprechen.
Fast atemlos hetzt er den Hörer (zumindest den, der ihm nach 10 Minuten noch die Stange hält) durch die Partitur (die übrigens zum kostenlosen Herunterladen im Internet bereitsteht!). Reine Sprechpartien und haarsträubend schwierige, völlig unvokalistisch gedachte Linien der dreiköpfigen Sängercrew (in einem französisch-englischen Kauderwelsch), hysterische Rezitationspassagen einer Schauspielerin, ja selbst umfangreiche Soloepisoden des Dirigenten (der sich in rhythmischem Sprechen von Geräuschsilben ergeht) stehen einem immer wieder durch elektronische Klänge „gestörten“ Mini-Orchesterklang gegenüber. Aperghis entführt den Hörer in eine merkwürdig surrealistische, hypnotisierende Klangwelt von undefinierbaren Knarzgeräuschen und Verzerrungen.
Vieles klingt mir zu sehr nach dem Zufallsprodukt eines „Schreibtischtäters“ (und auch der eingehende Blick in die Partitur legt dies nahe). Nur selten vermag die Musik zu fesseln, zu betören – nehmen wir einmal einige rhythmisch wirklich originelle Passagen und einen überraschenden Anklang an die Vokalmusik des 16. Jahrhunderts aus.
Es mangelt der Musik klar an Pausen, an den Kontrasten, die unsere Wahrnehmung benötigt, um nicht auf Dauer zu ermüden. „Verstörung“ und „Tempesta“ trägt nicht als Dauermotto für eine ganze Stunde Musik!
Interessanterweise kommt die Partitur fast ohne besondere moderne Spieltechniken bzw. Gesangstechniken aus, bewegt sich diesbezüglich fast auf traditionellem Terrain. In der rhythmischen Anlage hingegen finden wir alle Merkmale einer für die französische Avantgarde so typischen Hyperkomplexität. Aperghis’ Partitur weckt in mir viele Fragezeichen, und ganz unwillkürlich kommt mir Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern in den Sinn…
Schelten Sie mich einen erzkonservativen Ignoranten, aber mir taten nach dem einmaligen Abhören dieser Oper ein paar Takte Mozart zur seelischen Stabilisierung dringend Not!
Blenden wir alle weltanschaulichen Vorbehalte aus, so bleibt eine solide Produktion. Die klangliche Balance scheint mir nicht immer ideal – zu oft gehen Orchesterpassagen im Geheul der Synthesizer bzw. der Elektronik unter. Das Booklet mutet – wie auch das Design – leicht chaotisch an. Immerhin lädt es ausdrücklich dazu ein, sich Partitur und Libretto aus dem Internet zu laden. An und für sich keine schlechte Idee. Und ich halte es nicht einmal für ganz ausgeschlossen, dass sich einem geneigten Hörer nach intensivem Studium des Materials doch noch gewisse Qualitäten des Stücks offenbaren könnten.
Heinz Braun † [20.09.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Georges Aperghis | ||
1 | Avis de tempête |
Interpreten der Einspielung
- Donatienne Michel-Dansac (Sopran)
- Lionel Peintre (Bariton)
- Romain Bischoff (Bariton)
- Ictus (Ensemble)