Thomas Daniel Schlee Orgelwerke

Ambiente ACD-2030
1 CD • 65min • 2013
14.03.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vor dem Komponieren für die Orgel hat jeder heutige Komponist großen Respekt, nicht so sehr, weil das Instrument so kompliziert wäre, sondern weil man in ästhetischer Hinsicht so leicht in den Bannkreis der Kirchenmusik kommt und damit in die Nähe der Genrehaftigkeit und Funktionsgebundenheit. Diesen Bereich decken jedoch die vielen komponierenden Kirchenmusiker selbst ab. Etwas pointiert gesagt: Es ist ungleich schwerer, für die Orgel in irgendeiner Weise konventionell oder auch nur vorsichtig konventionsbereit zu schreiben als für andere Instrumente, weil das Ergebnis allzu rasch nach Kirchenmusik klingt.
Dieser ästhetischen Schwierigkeit kann Thomas Daniel Schlee nicht ganz entgehen, weswegen dieses reichhaltige Album mit Orgelwerken auf hohem Niveau, einen etwas zwiespältigen Eindruck hinterläßt. Der gebürtige Wiener Schlee, Jahrgang 1957, der auch seit Jahrzehnten ein erfolgreicher Festival-Intendant ist (u. a. in Linz und Bonn), verfügt, was heute viel zu selten ist, über ein sicheres Handwerk, das sich in all diesen Stücken aus den Jahren zwischen 1979 und 2010 zeigt; die Tonhöhen werden bewußt gesetzt, der Kontrapunkt ist sauber, manchmal überraschen tonale Harmonien, die clusterähnlichen Gebilden entgegengesetzt werden. Besonders überzeugt jedoch das Formgefühl der jeweils sämtlich unter zehnminütigen Stücke: Da werden beeindruckende Höhepunkt gesetzt und speziell Anfangs- und Schlußteile durchaus effektbewußt gestaltet. Schlee fällt darüber hinaus durchaus etwas ein, anspringende Eingangsgesten zu Beginn der Fantaisie op. 15 von 1983 etwa oder ausgeklügelte Vorder- und Hintergrundwirkungen in der ersten der Psalmenvertonungen op. 74 Sicut ros Hermon von 2008.
Es handelt sich also um ein ernsthaftes Komponieren (Schlees Nähe zur Tradition wird übrigens auch in dem sehr engagierten, mit vielen Ausrufezeichen verfaßten Einführungstext anekdotisch unterfüttert). Aber es gehen von diesem Komponieren kaum Impulse aus. Auffällig ist bereits, dass die Stücke, die ja in einem Zeitraum von über 30 Jahren entstanden, kaum eine stilistische Veränderung erleben. Sie scheinen auch irgendwie alle ein sehr ähnliches, gleichförmiges Zeitgefühl zu haben. Stets schätzt Schlee die ruhige, bisweilen bedächtige Entwicklung in regelmäßigen Stimmführungen, die zwar immer wieder durch intermittierende Ereignisse aufgelockert werden; diese jedoch sind meistens wenig individuell, manchmal gar formelhaft. Die eindrucksvollen Höhepunkte werden immer erst über lange, eher spannungsarme Wegstrecken erreicht, in denen oft liegende Klänge einen harmonischen Kontext bereitstellen, manchmal aber auch den Blick auf die stattfindenden Strukturen verdunkeln.
Pier Damiano Peretti gelingt es an der herrlichen Cavaillé-Coll-Orgel der Pariser Sainte-Trinité, die Balance zwischen Transparenz und Klangreichtum zu wahren, überhaupt ist er ein absolut adäquater Interpret dieser Werke. Betont sei, dass es sich um Musik handelt, die etwa in einem geschickten Rezital plaziert, einen aufmerksamen Hörer durchaus ansprechend wird. Doch im Großen und Ganzen gelingt es Schlee nicht immer, sich aus dem handwerklich hochstehenden, doch letztlich beengenden kirchenmusikalischen, hauptsächlich durch französische Orgelkomponisten geprägten Umkreis zu befreien.
Prof. Michael B. Weiß [14.03.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Thomas Daniel Schlee | ||
1 | Prélude op. 6 Nr. 1 | 00:04:23 |
2 | Prélude op. 6 Nr. 2 | 00:06:22 |
3 | Fantaisie op. 15 | 00:09:55 |
4 | Prélude op. 6 Nr. 4 | 00:06:59 |
5 | Prélude op. 6 Nr. 7 | 00:07:26 |
6 | Sicut ros Hermon op. 74 Nr. 1 | 00:08:03 |
7 | Prélude op. 6 Nr. 9 | 00:05:23 |
8 | Prélude op. 6 Nr. 11 | 00:06:07 |
9 | Si sumpsero pennas aurorae op. 74 Nr. 2 | 00:09:27 |
Interpreten der Einspielung
- Pier Damiano Peretti (Orgel)