Schubert Voyage
Kristjan Randalu • Martin Kuuskmann

Berlin Classics 0303720BC
1 CD • 60min • 2022
12.04.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
In einer Zeit, wo sich künstlerische Pfade sich immer selbstverständlicher kreuzen, rücken der estnische Pianist und Komponist Kristjan Randalu zusammen mit dem Fagottisten Martin Kuuskmann einem schwergewichtigen Werk zu Leibe: Schuberts Winterreise wird zum Sujet eines einsamen, suchenden Brückenschlags zwischen klassischer Interpretation und der frostklaren Freiheit der Improvisation. Die bei Berlin Classics erschienene Album präsentiert 14 ausgewählte Lieder aus Schuberts 24-teiligem Winterreise-Zyklus (op. 89), ergänzt durch vier skizzenhafte Eigenkompositionen als freie Interludien mit den programmatischen Titeln Schreck, Vorschau, Winterschlaf und Nachtwind. Bemerkenswert ist, dass auf Die Wetterfahne und die letzten vier Lieder des Zyklus – darunter das ikonische Der Leiermann – verzichtet wurde, als hätte der Wanderer seinen Weg vorzeitig beendet.
Das Fagott, durch die dunklen Klanglandschaften von Martin Kuuskmann mit faszinierender Präzision geführt, wird mit seinem enormem artikulatorischen Potential zum zentralen Protagonisten dieser instrumentalen Wanderung, fast wie ein einsamer Reisender, der seine Gedanken durch die Kälte trägt. Sein weiter Tonumfang erlaubt ihm, sowohl die sehnsuchtsvollen Melodielinien als auch die schweren, erdigen Bass-Parts des Originals zu verkörpern.
Ein Wanderer in labyrinthischer Umgebung
Doch Kuuskmanns Fagottspiel mit seinen virtuosen Linien ist nur der eine Protagonist in diesem Kosmos. Denn Randalu stellt diesem Spiel ein kontrastreiches Feld von Jazz-Improvisationen gegenüber – manchmal so, als wäre dies die dramatische, labyrinthische Umgebung, welche der getriebene Wanderer durchmisst. Hörgenuss bietet das jazzig perlende Spiel von Randalu allemal. Der Schritt des unermüdlichen Wanderers bekommt durch die ganzen rhythmischen Durchkreuzungen phasenweise etwas Stolperndes oder Federndes, während das Liedhafte von jazzharmonischen Reibungen umkleidet wird.
Es geht den beiden Musikern ums Weiterdenken, ums Befreien aus dem Geist von heute heraus. Manchmal verliert sich Randalu in seiner Spiellust, wo zu viel Hyperaktivität den Wesenskern der Musik zu vernebeln droht. Besonders im ersten Stück wirken die Klavierarpeggien bisweilen so, als würden zwei verschiedene musikalische Strukturen übereinandergelegt.
Dennoch: Was letztendlich im Ohr hängen bleibt, sind die unumstößlichen Qualitäten von Schuberts Melodien selbst. Sie entfalten auch in dieser ungewöhnlichen Besetzung und Interpretation ihre unverrückbare Autorität und zeitlose Schönheit. Genau hierin liegt die Stärke dieser Aufnahme: Sie beweist, dass große musikalische Ideen durch neuartige Aufarbeitungen gestärkt im Heute weiter leben.
Stefan Pieper [12.04.2025]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Kristjan Randalu | ||
1 | Gute Nacht (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:11 |
2 | Gefrorne Tränen (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:01:49 |
3 | Schreck (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:00:43 |
4 | Erstarrung (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:03:52 |
5 | Der Lindenbaum (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:17 |
6 | Wasserflut (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:05:02 |
7 | Auf dem Flusse (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:27 |
8 | Vorschau (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:01:30 |
9 | Rückblick (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:03:12 |
10 | Rast (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:53 |
11 | Winterschlaf / Frühlingstraum aus: Winterreise (nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:06:15 |
12 | Einsamkeit aus: Winterreise (nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:03:53 |
13 | Die Krähe (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:43 |
14 | Im Dorfe (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:03:22 |
15 | Nachtwind / Der stürmische Morgen (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:03:31 |
16 | Der Wegweiser (aus: Winterreise nach Franz Schubert op. 89 D 911) | 00:04:03 |
Interpreten der Einspielung
- Martin Kuuskmann * 1971 (Fagott)
- Kristjan Randalu * 1978 (Klavier)