César Franck
Complete Organ Works

cpo 555 477-2
4 CD • 3h 46min • 2021, ,2022
30.10.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Carsten Wiebusch legt auf 4 CDs die 12 großen Orgelwerke und die späte Sammlung „L’Organiste“ von César Auguste Franck (1822-1890) vor. Der Clou der Aufnahme besteht darin, dass nicht – wie es Standard ist – Orgeln von Aristide Cavaillé-Coll erklingen, sondern sämtliche Stücke auf Instrumenten, die binnen 2010 und 2021 neu geschaffen wurden, eingespielt wurden. Sie ist somit für Organisten mit modernen Universalorgeln von vorrangigem Interesse.
Die Väter der symphonischen Orgelmusik: Cavaillé-Coll und Franck
César Franck gilt als Vater der konzertanten symphonischen Orgelmusik des 19. Jahrhundrts in Frankreich. Das Signaturwerk hierfür ist die Grande Pièce symphonique op. 17, die in der Erstausgabe noch schlicht mit „Symphonie“ überschrieben war. Die dort eingesetzten orchestralen Effekte waren bereits durch Louis Lefébure-Wély in dessen umfangreichem Orgelwerk entwickelt worden, von dem erhebliche Teile eben nicht mehr für den rein gottesdienstlichen Gebrauch, sondern vielfach für die um die Jahrhundertmitte immer populärer werdenden Orgelkonzerte entstanden.
Hierzu bedurfte es jedoch neu disponierter Orgeln mit entsprechenden orchestralen Klangfarben und der Möglichkeit, große dramatische Crescendi und Decrescendi auszuführen sowie biegsame Kantilenen zu gestalten. Diese Aufgabe löste Cavaillé-Coll erstmalig 1840 mit seinem Instrument für St. Denis, indem er unter anderem das Solomanual der französischen Barockorgel (Récit) über den vollen Tastaturumfang ausbaute, es registermäßig dem Hauptwerk vom Volumen her annähernd gleich stark ausstattete, dort aber auch charakteristische und trotzdem verschmelzende Soloregister unterbrachte und das Ganze mit einer Jalousie versah, deren Öffnen und Schließen die nötige stufenlose Dynamik ermöglichte. Koppelt man nun das Schwellwerk an das Hauptmanual (Grand Orgue) und ans Positiv, lassen sich grandiose Steigerungen erzielen. Zusätzlich stellte er hohe Aliquoten, Mixturen und kräftige Zungen eines Werks auf separate Windladen, die per Fußhebel ein- und ausgeschaltet werden können, was von den Komponisten mit den Anweisungen „mettez anches“/ „otez anches“ – bei Alexandre Guilmant manchmal nur für einen einzigen Akkordschlag – genau vorgeschrieben wurde. Heute ist man mit elektrischen Registertrakturen und Setzersystemen in Bezug auf Registerwechsel ungleich flexibler geworden.
Moderne Universalorgeln
Die drei für die Einspielung verwendeten Instrumente – Klais, Christuskirche Karlsruhe, 2010,IV 85 / Eule, Konstantinsbasilika Trier, 2014, IV 87 / Rieger, Martinskirche Kassel, 2017-21, IV 77 mit 4 Vierteltonregistern! – sind als großdimensionierte Universalorgeln mit mehreren schwellbaren Werken angelegt. Das Kasseler Instrument trägt durchaus avantgardistisch-experimentelle Züge. Für deren ausgiebige Dokumentation geht ein Extra-Punkt aufs Booklet.
Eher strenge Interpretation
Carsten Wiebusch (Jg. 1969), seit 2017 Professor für Orgel in Frankfurt, spielt die 12 großen Orgelwerke Francks – 6 Pièces opp. 16-21 (UA 1864), 3 Pièces (UA 1878 an der Konzert-Orgel des Trocadèro), 3 Chorals (1890) – klanglich etwas weicher, deutsch-romantischer als seine französischen Kollegen wie Marcel Dupré (St. Sulpice) oder Ben van Oost (St. Ouen). Dies mag auch daran liegen, dass die verwendeten Instrumente zwar über ein französisches Schwellwerk verfügen, ihre Hauptwerke und Positive jedoch auch bei Max Reger oder Edward Elgar eine gute Figur machen müssen. Dupré geraten pianistisch gedachte Staccato-Passagen in der „Grande Pièce“ knackiger und spritziger. Außerdem ist er in der Lage, größere Spannungsbögen aufzubauen und dann durchzuhalten. Wiebusch wirkt dagegen in Rhythmik und Agogik weniger stringent. Die Bearbeitungen der 63 ursprünglich für Harmonium konzipierten, zeitgleich – quasi als Vermächtnis – mit den Chorälen entstandenen Stücke der Sammlung „L’Organiste“ sind durchaus gelungen. Hier ist ein Vergleich mit den Lösungen von Daniel Roth durchaus aufschlussreich. Als Vorbild konnten hier die unterschiedlichen Fassungen für Harmonium und Orgel der Guilmant-Sonaten dienen.
Das Booklet dokumentiert die Orgeln ausführlich und informiert umfassend über die eingespielten Werke. Aufnahmetechnisch gibt es keinerlei Beanstandungen. Der – allerdings auf der Rückseite relativierte – Titel, der auf eine Kompletteinspielung schließen lässt, ist etwas irreführend, da die Stücke, die Francks Sohn George 1905 als „Œuvres posthumes“ herausgab, keine Berücksichtigung fanden.
Fazit: Eine instruktive Aufnahme, die demonstriert, wie man Francks Orgelwerke auf nicht-französischen Orgeln zum Klingen bringen kann. Deshalb primär für Organisten und Orgelenthusiasten von hervorragendem Interesse. Interpretatorisch solide, aber nicht bis in alle symphonischen Details ausgeleuchtet. Vollständigkeitsfanatiker sollten sich die Auswahl aus den frühen, posthum veröffentlichten Werke mit Ben van Oost gönnen. Wer ausschließlich an den Hauptwerken interessiert ist, kann auch die Aufnahme mit Marcel Dupré heranziehen, dessen Lehrer Alexandre Guilmant Franck noch vielfach selbst gehört hat.
Thomas Baack [30.10.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
César Franck | ||
1 | Grand pièce symphonique fis-Moll op. 17 | 00:26:19 |
2 | Sieben Stücke in fis-Moll/Ges-Dur | 00:10:50 |
9 | Fantaisie C-Dur op. 16 | 00:11:49 |
10 | Sieben Stücke in C-Dur/c-Moll | 00:13:05 |
17 | Final B-Dur op. 21 | 00:11:33 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Prélude, Fugue et Variation h-Moll op. 18 | 00:10:57 |
2 | Sieben Stücke in As-Dur/gis-Moll | 00:13:07 |
9 | Pastorale E-Dur op. 19 | 00:09:04 |
10 | Sieben Stücke in Des-Dur/cis-Moll | 00:11:03 |
17 | Prière op. 20 | 00:12:05 |
18 | Sieben Stücke in G-Dur/g-Moll | 00:10:58 |
CD/SACD 3 | ||
1 | Sieben Stücke in D-Dur/d-Moll | 00:13:49 |
8 | Fantaisie A-Dur (aus Trois Pièces pour Grand Orgue) | 00:15:19 |
9 | Cantabile (aus: Trois Pièces pour Grand Orgue) | 00:05:55 |
10 | Pièce héroïque (aus Trois Pièces pour Grand Orgue) | 00:09:43 |
CD/SACD 4 | ||
1 | Choral Nr. 1 E-Dur | 00:15:06 |
2 | Sieben Stücke in e-Moll/E-Dur | 00:12:38 |
9 | Choral Nr. 2 h-Moll | 00:14:44 |
10 | Sieben Stücke in Es-Dur/es-Moll | 00:10:02 |
17 | Sieben Stücke in F-Dur/f-Moll | 00:12:00 |
24 | Choral Nr. 3 a-Moll | 00:12:41 |
Interpreten der Einspielung
- Carsten Wiebusch (Orgel)