Hanns Eisler
Music for Piano
Steffen Schleiermacher piano

MDG 613 2355-2
1 CD • 75min • 2023, 2024
26.04.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Eindruck, dass Hanns Eisler (1898–1962) kein Komponist ist, der derzeit verstärkt im Fokus steht, täuscht wohl eher nicht, denn auch wenn ein genauerer Blick auf die Veröffentlichungen der letzten Jahre sehr wohl eine Reihe von Aufnahmen seiner Musik liefert (teils allerdings im Rahmen gemischter Alben), dann doch eher innerhalb eines relativ engen Rahmens, der etwa erwartungsgemäß sein Liedschaffen inkludiert, nicht aber Werke wie z.B. die großartige, unbedingt aufführenswerte Deutsche Symphonie. Interessanterweise erscheint auch das ein oder andere Klavierwerk dann und wann auf Tonträger, obwohl Eisler selbst ein durchaus nicht unkompliziertes Verhältnis zu Klaviermusik im Allgemeinen hatte. Nichtsdestotrotz sticht eine Neuerscheinung wie die vorliegende, auf der Steffen Schleiermacher ein wohlgefülltes Album zur Gänze Klaviermusik von Eisler widmet, noch einmal deutlich heraus.
Fünf Hauptwerke, ergänzt durch kleine Raritäten
Dabei wartet die CD mit einigen Raritäten und willkommenen Ergänzungen rund um ihre fünf Hauptwerke herum auf. So spielt Schleiermacher zusätzlich zur Klaviersonate Nr. 2 op. 6 (1924/25), hier auf Basis der Neuausgabe von Christoph Keller, auch die Urfassung des Themas dieses einsätzigen Variationswerks. Rein von den Noten her kaum ein Unterschied, wohl aber eine drastische, geradezu verblüffende Veränderung des Ausdrucks von stiller Introspektion hin zu einer expressiven Wucht, die über die Vortragsanweisung „energisch“ noch hinausgeht. Ähnlich werden am Ende der CD die Variationen (1941, rev. bis 1947) um ein Andantino ergänzt, das vielleicht in Zusammenhang mit ihnen, vielleicht aber auch als separat konzipiertes Werk entstand, auf jeden Fall aber aus ganz ähnlichem Holz geschnitzt ist. Der Shimmy (1926) ist ein kleines Gelegenheitsstück, durchaus mit einem Augenzwinkern versehen, in diesem Sinne ähnlich wie Cowboy Bauman fell off the Crazy Horse (1935), das Eisler für den Sänger Mordechai Bauman schrieb, wohl Bezug nehmend auf ihre Proben zu Liedern von Charles Ives. Und schließlich findet man die spröde, karge, neoklassizistische Zweistimmigkeit der Kleinen Musik zum Abreagieren sentimentaler Stimmungen (um 1929/30) im Rahmen dieses Programms auch in den Sieben Klavierstücken op. 32 (1932) sowie in der Sonatine (Gradus ad parnassum) op. 44 (1934) wieder.
Dezidiert unsentimental
Ein reizvolles Programm also, das allerhand Einblicke in Eislers Werkstatt bietet. Etwas reservierter stehe ich den Interpretationen selbst gegenüber. Insgesamt gut gelingen Schleiermacher vor allem die dezidiert trockenen Werke wie die Klavierstücke op. 32 oder die Sonatine mit ihren knapp gefassten, betont linearen Strukturen; lediglich die jeweiligen Schlusssätze könnten mehr Temperament und durchaus auch Witz vertragen. In den drei anderen größeren Werken (neben der Sonate Nr. 2 und den Variationen sind dies die Klavierstücke op. 8) wählt Schleiermacher einen ganz ähnlichen Ansatz: seine Tempi sind eher verhalten (interessanterweise im Vergleich zu Olbertz mit sehr deutlicher Ausnahme der Coda der Variationen; leider liegen mir hier die Noten nicht vor), ebenso wie die emotionale Amplitude seiner Interpretationen. Ganz offenbar entspricht dies seinem Verständnis dieser Musik, wenn man im von ihm selbst verfassten Begleittext u.a. den Kommentaren zu den Klavierstücken op. 8 entnehmen kann. Nun ist Eislers Musik zwar sicherlich gewollt unsentimental, aber auf knappem, präzise bemessenem Raum eben doch zum Teil ausgesprochen expressiv, durchaus auch in Korrespondenz mit Vortragsanweisungen wie „kräftig und energisch“, „con fuoco“, „martiale ed energico“, „pesante“, „schleppen!!“ etc., dann wieder in Kontrast etwa zu „sehr leicht und zart zu spielen“, „viel ruhiger“, „dolce“, „grazioso“ und anderem.
Sehr verdienstvolles Label
Kontraste also, die bei Schleiermacher nicht deutlich genug zur Geltung kommen; hier müssten die einzelnen, lokalen Charaktere der Musik wesentlich klarer gezeichnet werden. Dabei steht außer Frage, dass Schleiermacher in Bezug auf Artikulation und Differenzierung seines Anschlags gerade in Piano- und Pianissimo-Regionen sehr sorgfältig arbeitet; es fehlt diesen Darbietungen aber an Schärfe und expressiven Kraft, auch der Bereitschaft zum Martellato, zum Überschreiten von Grenzen, wie man sie in den klassischen Einspielungen von Walter Olbertz bzw. Siegfried Stöckigt findet. Ungeachtet dessen kann man dem sehr verdienstvollen Label MDG gerade auch angesichts der jüngsten, ebenso schockierenden wie empörenden Neuigkeiten (in Sachen GEMA) nur alles Gute wünschen und hoffen, dass es seinen Weg mit Veröffentlichungen wie diesen in welcher Form auch immer fortführen kann.
Holger Sambale [26.04.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Hanns Eisler | ||
1 | ZweiteSonate für Klavier in Form von Variationen op. 6 | 00:09:57 |
2 | Thema aus 2. Sonate (Urfassung) | 00:01:16 |
3 | Shimmy | 00:01:09 |
4 | Klavierstücke op. 8 | 00:17:49 |
12 | Kleine Musik zum Abreagieren sentimentaler Stimmungen | 00:01:54 |
13 | Sieben Klavierstücke op. 32 | 00:09:41 |
20 | Sonatine op. 44 (Gradus ad parnassum) | 00:08:19 |
24 | Cowboy Bauman fell off the Crazy Horse | 00:01:39 |
25 | Variationen für Klavier | 00:21:16 |
29 | Andantino | 00:01:38 |
Interpreten der Einspielung
- Steffen Schleiermacher * 1960 (Klavier)